Seit den frühen 30er-Jahren bis zu seinem Tod 1954 schuf Henri Matisse (1869-1954) Kunstwerke, für die er eine neue Technik entwickelt hatte. Große Papierbahnen wurden dafür mit kräftig leuchtenden Farben bemalt. Die Wände des Ateliers verwandelten sich in eine Leinwand. Nach seinen Anweisungen befestigten Assistenten dort mit Reißzwecken die ausgeschnittenen farbigen Papierstücke. Diese Scherenschnitte waren ein radikaler Bruch mit der klassischen Malerei. »Statt eine Umrisslinie zu zeichnen und sie dann mit Farbe auszufüllen, zeichne ich direkt mit Farbe«, sagte Matisse. Das Bild »Blauer Frauenakt I.« gehört zu einer Serie aus vier Scherenschnitten, die ursprünglich in das Wandbild »Der Papagei und die Meerjungfrauen« eingefügt werden sollten. Gleichrangig neben den Farbflächen steht der weiße Grund. Diese Aufwertung der Freiflächen geht auf die Beobachtung orientalischer Zeichnungen zurück, bei denen Matisse entdeckte, dass »der um die Blätter herum belassene Freiraum genauso wichtig war wie die Zeichnung der Blätter selbst«. »Matisse gelingt hier der Höhepunkt einer Vereinfachung, bei der sich die bildnerischen Mittel auf wenige, auf weißen Grund fixierte blaue Elemente beschränken.« (Gilles Néret). Fondation Beyeler, Riehen/Basel, Sammlung Beyeler. Originaltitel »Nu bleu I.«